Sonntag, 26. Januar 2014

Wer ist ein Angsthase?



Mario, Mark und Sascha spielen im Park. Gleich nebenan ist ihr alter Kindergarten. Bis zum Herbst haben sie ihn noch besucht, aber jetzt sind sie groß und gehen zur Schule.
„Seht doch, der Teich ist schon zugefroren“, ruft Mark.
Spiegelglatt ist das Eis. Ein paar Enten rutschen über die Oberfläche, als sie landen. Sascha hackt mit seinem Absatz ein Loch in den Rand und bricht ein Stück heraus. Es ist klar wie Glas. Das Eis wirft er auf den Teich. Es schlittert fast bis auf die gegenüberliegende Seite. Mark und Mario machen es ihm nach. Bald ist der ganze Teich mit Eissplittern übersät.
„Ich gehe aufs Eis“, ruft Mario und geht mutig voran.
Sascha folgt ihm. Nur Mark bleibt ängstlich am Rande stehen. Seine Mutter hat ihm verboten, schon auf das Eis zu gehen.
„Komm doch“, fordert Mario ihn auf. Aber Mark schüttelt den Kopf.
„Das Eis ist zu dünn“, sagt er.
„Das Eis hält“, erklärt Mario.
Aber Mark bleibt am Ufer.
„Feigling, Feigling“, ruft Mario und Sascha fällt mit ein.
Mark zögert, dann läuft er zu. Einen Feigling will er sich nicht nennen lassen. Das Eis knarrt zwar, aber Mario und Sascha trägt es doch auch.
„Kommt hierher, hier ist ein Fisch“, ruft Mario und starrt auf das Eis.
Saschas große Schwester Mariam kommt dazu.
„Geht vom Teich runter, das Eis ist noch nicht fest“, schreit sie.
„Du hast aber eine doofe Schwester, die ist ein Spaßverderber“, sagt Mario. Dann ruft er: „Angsthase, Angsthase!“
„Sascha, komm sofort, sonst sag ich es Mutter“, ruft Mariam und winkt Sascha heran.
„Petze, Petze“, schreit Mario. Aus Trotz geht er noch weiter hinaus.
Sascha kehrt zögernd um. Mark folgt ihm, dabei rutscht er aus und fällt hin. Das Eis bricht und Mark fällt ins Wasser. Laut schreit er um Hilfe und hält sich am Rande des Eises fest.
Schnell läuft Mario ans Ufer.
„Du musst ihn herausziehen. Du hast gesagt, das Eis hält“, sagt Sascha.
„Geh doch selber. Ich gehe da nicht rauf. Ich kann doch nicht schwimmen“, antwortet Mario.
„Gebt eure Schals“, befiehlt Mariam und knotet sie zusammen. Dann rennt sie um den Teich. Von der anderen Seite ist das Loch dichter am Ufer. Vorsichtig betritt Mariam das Eis und legt sich hin, langsam schiebt sie sich vorwärts. Als sie dicht am Loch ist, wirft sie das selbstgemachte Seil.
Mark bekommt es zu fassen.
„Halte dich fest, ich ziehe dich heraus“, sagt sie und schiebt sich vorsichtig rückwärts.
Tatsächlich schafft sie es, Mark aus dem Wasser zu ziehen.
„Lass uns zum Kindergarten gehen, dort ist es warm, und es gibt trockene Sachen“, sagt sie zu Mark, sobald sie am Ufer sind.
Und als sie an Mario vorbeikommen, fragt sie: „Wer ist der Angsthase?“

Sonntag, 5. Januar 2014

Altes Eisen




„Findest du nicht, dass du langsam zu alt für den Job wirst?“, stichelte Robert. Er musterte Wolfgang, der seelenruhig weiter seinen Tee trank.
„Manche merken einfach nicht, wenn sie aufhören sollen“, fügte Sascha hinzu.
„Dafür ist der Gesundheitsscheck da. Bisher war alles in Ordnung.“ Wolfgang stellte seine Tasse in die Spülmaschine und begab sich zu seiner nächsten Fahrschülerin. Yasemin. Sie stammte aus Ostanatolien. Obwohl sie schon seit über zehn Jahren in Bochum lebte, sprach und verstand sie immer noch nicht genug Deutsch und der Großstadtverkehr war ihr unheimlich. Aber sie wollte den Großeinkauf selbstständig erledigen und beweglicher sein. So hatte sie schon 40 Fahrstunden hinter sich und würde noch einige mehr benötigen.
Am Abend brachte Wolfgang das Auto zurück. Erika, seine Chefin, fragte ihn: „Würdest du noch einen weiteren Schüler übernehmen?“
„Ungern, kann es nicht Robert machen? Yasemin und der alte Peters brauchen sicher noch einige Zeit. Dazu kommen die Jugendlichen, die am liebsten schon in der nächsten Woche ihre Prüfung machen würden.“
„Robert kommt mit der alten Dame nicht zurecht. Sie hat sich beschwert, dass er sie wiederholt angeschrien hat.“
„ Bevor oder nachdem sie die Beule in den Kotflügel gefahren hat?“
„Sowohl als auch.“
„Und Sascha?“
„Ist noch viel ungeduldiger. Nein, Wolfgang, du musst sie übernehmen. Nur deinetwegen haben wir den Ruf, dass selbst hoffnungslose Fälle bei uns das Fahren lernen.“

@Annette Paul