Zur Geburt meiner Mutter pflanzte ihr
Vater hinter dem alten Fachwerkhaus einen Apfelbaum. Jahre darauf versorgte er
in der schlechten Nachkriegszeit die Familie mit seinen Früchten, die nicht nur selbst
verzehrt wurden, sondern auch begehrte Tauschobjekte waren.
Als ich geboren wurde, spendete er
für meinen Kinderwagen Schatten. Später stand unsere Sandkiste dort, damit wir
keinen Sonnenbrand bekamen, und so spielten wir ständig in seiner Nähe. Im
Sommer sammelten wir die früh abgeworfenen Äpfel, zerrieben und mischten sie
mit dem Sand zu Apfelkuchen. Bald darauf kletterten mein Bruder und ich in dem
Baum herum. Er hatte seine ersten Astgabeln in einer Höhe, die wir mit unseren
fünf oder sechs Jahren erreichen konnten. Eines Tages befestigte Vater an ihm eine
Schaukel, bald der beliebte Treffpunkt einer Kinderschar.
Das Baumhaus in der
Krone bauten wir schon selbst. Der große Ast, der dabei abbrach, riss eine tiefe Wunde in den Baum, die
noch Jahrzehnte später zu sehen war. In den folgenden Sommern trug er kaum noch
Früchte, deshalb wollte Vater ihn schon absägen. Zum Glück hinderte meine
Mutter ihn daran. Wir Kinder zitterten um ihn, bis es endlich wieder seine
rotbäckigen Äpfel auf den bunten Tellern zu Weihnachten gab.
Als ich mit der Schule fertig war,
folgten mehrere Regenjahre hintereinander und der Baum erkrankte. Wieder wollte
ihn Vater absägen, aber Mutter hing an ihm, weil er eine letzte Erinnerung an
meinen Großvater war.
Mein Bruder machte sich ihr
zuliebe die Mühe und schnitt die kranken Teile heraus und verpflasterte die
Wunden. Mit Hilfe von Pflanzenschutzmitteln und Dünger erholte er sich. So dass
auch meine Kinder seine Äpfel essen konnten.
In manchen Jahren trug er reichlich
und wir versorgten nicht nur die Verwandtschaft, sondern auch noch die Nachbarn.
Als meine Eltern zu alt für das Haus und den Garten wurden, zogen wir zu ihnen.
Natürlich mussten wir umbauen und modernisieren. Dazu kamen der große Garten
und die Pflege der Eltern. Zu allem Überfluss bestand Mutter darauf, alles Obst
und Gemüse zu verwenden. Wie vor fünfzig Jahren kochten wir ein. Die Kinder
lachten mich aus, weil ich ihr den Wunsch erfüllte. Trotzdem halfen sie bei der
Ernte und holten sich einen Teil für den eigenen Bedarf ab.
Wenn ich jetzt auf den Friedhof
gehe, nehme ich im Frühjahr blühende Zweige als Grabschmuck mit. Und meine
Enkelkinder schlafen wieder im Schatten des Baums.
© Annette Paul