Sonntag, 19. Februar 2012

Ein verzauberter Prinz



Levke hörte es im Gebüsch rascheln, deshalb suchte sie das Laub ab. Da, hinter dem Busch hockte eine Kröte mit einer kleinen Goldkrone auf dem Kopf. Mit einem schnellen Griff fing sie das Tier.
„Küss mich, ich bin ein verzauberter Prinz", säuselte die Kröte.
„Das kann ja jeder sagen", antwortete Levke. Doch dann überlegte sie es sich. Wenn es nun wirklich ein junger, hübscher Prinz wäre? Warum trug das hässliche Ding denn sonst eine Krone? Levke schloss die Augen und hauchte einen Kuss auf den Kopf der Kröte. Augenblicklich sackte ihre Hand nach unten und sie ging in die Knie. Mit soviel Gewicht hatte sie nicht gerechnet. Sie riss die Augen auf.
Vor ihr stand ein grauhaariger Mann in einem altmodischen Anzug. Nein, den Greis wollte sie auf keinen Fall heiraten.
„Mama", schrie sie gellend.
Sofort sprang Evelyn vom Liegestuhl und stürzte heran.
„Entschuldigen Sie, ich wollte Ihr reizendes Töchterlein nicht erschrecken. Darf ich Sie zu einem Glas Sekt einladen?" Der Prinz lächelte gewinnend und reichte Evelyn den Arm.
„Kauf dir ein Eis." Er drückte Levke eine Goldmünze in die Hand. Levke schaute den Beiden hinterher. Dann musterte sie das Geldstück. Vielleicht wurde der Urlaub ja doch noch interessant.


© Annette Paul

Samstag, 11. Februar 2012

Die kleine, griesgrämige Schildkröte


Missmutig schwamm die kleine Schildkröte im großen, weiten Meer. Ängstlich warf sie hin und wieder einen Blick über ihre Schulter. Sie musste vorsichtig sein, denn schnell konnte so eine kleine Schildkröte von einem großen Tier gefressen werden.
Ein kleiner Tintenfisch kreuzte ihren Weg. Die Schildkröte erstarrte vor Angst. Dabei sah sie so furchterregend aus, dass der kleine, fröhliche Tintenfisch einen Schreck bekam. Ganz schnell nebelte er sich mit seiner eigenen Tinte ein und verschwand.
Keiner mag mich, dachte die kleine Schildkröte traurig und schwamm betrübt weiter.
Ein Schwarm ausgelassener, kleiner Fischchen tobte auf sie zu. Missbilligend schaute die kleine Schildkröte die kleinen Fischchen an. Wie konnten die nur so unachtsam und albern sein.
Die ersten Fische, die sie fast erreicht hatten, wendeten erschrocken, als sie das griesgrämige Gesicht der kleinen Schildkröte sahen. Kichernd stob der Schwarm davon.
Niedergeschlagen dachte die kleine Schildkröte, dass sie keine Freunde zum Fröhlichsein und Lachen hatte.
Ein kleiner Krebs lief ihr über den Weg. Die kleine Schildkröte zuckte ängstlich zurück. Angsterregend drohte der kleine Kerl mit seinen erhobenen Scheren. Die kleine Schildkröte sah für ihn so groß und gefährlich aus, dass der kleine Krebs sich lieber in Windeseile eingrub, als sich auf einen Kampf einzulassen.
So ein Feigling, dachte die kleine Schildkröte. Erst droht er mir, so dass ich vor Angst zittere und dann versteckt er sich.
Erbost schwamm die kleine Schildkröte weiter.
Zufrieden mit sich und ihrer Welt trieb eine Qualle auf sie zu.
„Siehst du nicht, dass ich hier bin?", rief die kleine Schildkröte wütend.
Die Qualle schwamm unbeirrt weiter.
Verärgert musste die kleine Schildkröte ihr Platz machen.
Wie kann die Qualle mich übersehen? Vor Zorn traten der kleinen Schildkröte Tränen in die Augen.
Keiner nahm sie wahr, keiner wollte etwas mit ihr zu tun haben. Die kleine Schildkröte wurde von ihrem Kummer überwältigt. Lange weinte sie laut.
Da näherte sich ihr ein alter, riesiger Wal.
„Kleine Schildkröte, was hast du für Sorgen?", fragte er mitleidig.
„Ach,lass mich in Ruhe. Müssen mich denn alle belästigen und ärgern. Hat man hier denn nie Ruhe", fauchte die kleine Schildkröte.
„Du hast Kummer, vielleicht kann ich dir helfen. Ich habe schon viel gesehen und erlebt. Aber du musst mir sagen, was dich bedrückt", sagte der Wal.
„Keiner mag mich. Alle gehen mir aus dem Weg. Ich habe keine Freunde und überall droht Gefahr. Alle anderen Tiere sind fröhlich und haben Freunde, nur mir gehen sie aus dem Weg."
„Wenn du alle so unfreundlich begrüßt wie mich, wundert es mich nicht. Keiner will dir ein Leid tun, aber wenn du so böse dreinschaust, vor allen Angst hast und gleich losmeckerst, so werden dich alle meiden. Mach ein fröhliches Gesicht und sei freundlich, wenn andere dich ansprechen, dann findest du bestimmt bald Freunde", entgegnete der Wal, bevor er weiterschwamm.
Die kleine Schildkröte dachte lange über die Worte des Wales nach. Am Abend beschloss sie, seinen Rat auszuprobieren.
Als ein kleiner Tintenfisch angeschwommen kam, lächelte sie ihn mühsam an. Der Tintenfisch hielt einen großen Sicherheitsabstand. Aber er winkte ihr höflich zu.
Am nächsten Morgen lächelte sie einen kleinen Krebs schon etwas freundlicher an und sagte: „Hallo."
Der Krebs winkte mit seinen Scheren zurück und rief: „Hallo, ich habe keine Zeit. Ich muss schnell mein Futter suchen."
Einer Qualle, der sie begegnete, wich sie freundlich aus. Die Qualle bedankte sich mit einem höflichen Kopfnicken.
Und den kleinen Fischchen, die herumtollten, sah sie wohlwollend zu. Als die sich gegenseitig jagden und die tollsten Kunststücke vollführten, lachte sie leise.
Erschreckt flüchteteten die Fischchen hinter einem Büschel Seegras.
Bald lugte eine neugieriges Fischchen hervor und fragte: „Wer bist du?"
„Ich bin die Schildkröte Griesgram", antwortete sie.
„Willst du mit uns spielen?", fragte das Fischchen.
Zögernd stimmt die kleine Schildkröte zu. Den ganzen Nachmittag tobte sie mit den Fischchen. So fröhlich und unbeschwert war sie in ihrem ganzen Leben noch nie gewesen.
Als die Fischchen am Abend gehen mussten, fragte eines: „Spielst du morgen wieder mit uns?"
„Ja, gern", freute sich die kleine Schildkröte.
„Wir werden dich Fröhlich nennen, Griesgram passt nicht zu dir", entschied ein zweites Fischchen, bevor der Schwarm verschwand.
Erschöpft aber glücklich ging die kleine Schildkröte schlafen.
So einen schönen Tag hatte sie noch nie erlebt. Und endlich hatte sie Freunde.


© Annette Paul