Sonntag, 28. Oktober 2012

Wandertour



 „Wir nutzen das letzte freie Wochenende im August bevor die Weihnachtssaison beginnt und machen einen Ausflug in den Harz“, beschloss der Weihnachtsmann.
 Oberwichtel Artur sah ihn flehend an, doch es war vergeblich.
 „Etwas Bewegung tut dir auch gut. Du kommst mit. Noch einmal ausspannen, bevor der Stress beginnt.“
 Artur nickte folgsam. Am nächsten Tag packte er Proviant für zwei Personen ein, außerdem Regensachen, Sonnencreme und Wäsche zum Wechseln.
 „Hätte es nicht der Süden sein können“, knurrte er, als er seine Regenjacke zusammenrollte und die Stiefel gründlich einwachste. Ein kleines Paar für ihn, ein großes für den Chef. Er hasste es. Er musste ewig polieren, bis sie glänzten.
 Sie fuhren mit dem alten Ford T bis zum Nationalpark, stiegen aus und liefen los. Der Weihnachtsmann in Wanderstiefeln und mit Wanderstock vorweg. Artur mit einem großen Rucksack hinterher. Schon bald spürte er das Gewicht, während der Abstand zum Chef immer größer wurde. Als es bergan ging, holte er wieder auf, da der Weihnachtsmann immer wieder stehen blieb und die Landschaft bewunderte. Es ging vorbei an einem Picknickplatz an dem mehrere Familien saßen und sich ausruhten.
 „Schau mal, Mama, der Dicke, der lässt den Kleinen das schwere Gepäck schleppen“, sagte ein Mädchen.
 „Der hat selbst genug zu tragen“, antwortete ihr Bruder und lachte.
 „Deswegen wandern sie sicher auch“, meinte ein drittes Kind. „Sport ist gesund und hält schlank sagt meine Tante.“
 Der Weihnachtsmann beachtete sie nicht weiter, sondern lief unermüdlich weiter, bis er außer Atem war und sich auf einem Baumstamm am Wegesrand niederließ.
 „Kennst du die Familie?“, fragte er Artur.
 Der schüttelte den Kopf, zog nach einem Blick auf das gerötete Gesicht seines Chefs eine Wasserflasche aus dem Rucksack und reichte sie ihm.
 „Du musst unbedingt herausfinden, wie die drei heißen“, knurrte der und nahm einen Schluck aus der Pulle.
 „Aber ...“, setzte Artur an.
 „Nichts aber, diskriminieren lasse ich mich nicht. Schon gar nicht von kleinen Rotzlöffeln.“
 „Willst du ihnen jetzt die Weihnachtsgeschenke verweigern? Das ist schon seit vierzig Jahren aus der Mode“, wagte Artur einzuwenden.
 Der Weihnachtsmann kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Stimmt, und die Rute darf ich auch nicht mehr einsetzen. Dient nur noch als Accessoire. Es gibt keinerlei erzieherische Maßnahmen mehr.“ Er schloss die Augen und lehnte sich zurück. Einen Augenblick später erfüllte lautes Schnarchen die Luft.
 Als er nach einer Stunde aufwachte, blinzelte er. „Notiere: Drei Benimmbücher für diese Gören.“ Dann stand er, griff sich seinen Wanderstab und schritt wieder kräftig aus.



© Annette Paul








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Sonntag, 14. Oktober 2012

Der Umzug 4








(...)


Nachtigall fährt den Laster, mit Cäsar und Zorro als Beifahrer. Die müssen die Karte lesen, damit wir auch ankommen. Picasso kann es leider nicht. Beim letzten Versuch haben wir drei
Stunden gebraucht, um wieder an unserem Ausgangspunkt anzukommen. Solche praktischen Dinge kann man halt nicht von einem Maler, erwarten.
Ich halte mit meinem vollen Magen erst einmal einen Mittagsschlaf. Die Fahrt wird noch lange genug dauern. Als ich wieder aufwache, fliegen Wolken und Bäume an uns vorbei. Der Bus klappert gewaltig. Winnetou fährt sicher wieder einmal schneller als er soll. Nein, das täuscht nur, denn der Laster vor uns ist genauso schnell. Der Bus ist einfach nur alt. Hoffentlich fällt er nicht unterwegs auseinander.
Ich schließe die Augen und versuche wieder einzuschlafen. Aber so unruhig, wie ich bin, kann ich es natürlich nicht mehr, dabei schlafen Ratten tagsüber und sind in der Nacht wach. Also krabble ich aus der Tasche heraus und auf die Rücklehne. Jetzt habe ich einen richtig guten Ausblick. Ich sehe Kühe und Pferde auf den Weiden stehen. Huh, da sitzt ein Bussard auf einem Pfosten. Wie gut, dass ich im Auto bin und nicht auf dem Feld.
Nach einer Weile wird es mir langweilig, ich krieche in das Gepäck und untersuche es. Vielleicht habe ich Glück und finde etwas Schmackhaftes. Um die Musikinstrumente mache ich lieber einen großen Bogen, da kennen die Kinder kein Pardon. Nicht einmal Rapunzel hat Verständnis, wenn ich in der Gitarre übernachte. Dabei ist das so eine schöne Höhle. Ich hatte sie einmal mit etwas Wolle und Heu ausgestopft, das war herrlich gemütlich. Zur Strafe musste ich eine Woche lang im Käfig schlafen. So eine Gemeinheit. Dabei hat sowieso niemand das Ding benutzt. Es war ein alter Staubfänger. Nur weil Nachtigall so ein Theater gemacht hat, von wegen altem Erbstück und kostbares Instrument. Auf dem schon Dingsda große Konzerte gegeben hat.
Die Koffer sind alle verschlossen. Ich könnte natürlich ein Loch hineinnagen, aber das würde auch Ärger geben. Also lasse ich es lieber. Nachtigall traue ich es zu, dass sie mich einfach auf einem Parkplatz aussetzt. „Ratten gibt es überall. Du wirst schon zurechtkommen“, meint sie dann sicher nur.
Der Bus klappert nicht mehr ganz so stark. Winnetou scheint langsamer zu fahren. Es geht in eine Kurve. Ich bekomme so einen Druck im Magen, dass ich mich nicht mehr halten kann, sondern durch den Kofferraum rutsche. Leider rutsche ich nicht allein, sondern die Kisten und Koffer und Taschen rutschen ebenfalls. Und genau auf mich zu. Mir wird elend vor Angst. Hilfe! Ich werde zerquetscht! Mit einem beherzten Sprung rette ich mich auf den Gitarrenkasten und von dort weiter auf Rosenrots Kopf. Mit aller Kraft kralle ich mich fest, ohne auf ihr Kreischen zu achten. Was hat sie bloß? Sie ist doch sonst nicht so zimperlich. Das darf sie bei drei Brüdern und zwei Schwestern auch gar nicht sein.
„Rapunzel, nimmt dein Vieh weg. Es reißt mir alle Haare aus“, schreit sie.
Rapunzel beugt sich hinüber und greift nach mir. Das passt mir nicht und ich fletsche meine Zähne.
„Prinz, hör auf, oder du gehst in den Käfig.“
Blödsinn, der ist doch im Laster.
„Für eine ganze Woche.“ Nun gut, ich bin vernünftig und friedlich, also lasse ich mich in die Hand nehmen und wieder in die Jackentasche packen.
Langsam beruhigt sich mein pochendes Herz und ich nage an dem Keks, den mir Rapunzel gibt

(...) 



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Sonntag, 7. Oktober 2012

Der Umzug 3



(...)

Es riecht lecker nach Salami, Käse und Brot. Mein Hunger meldet sich. Bei dem Stress muss ich gut essen. Ich luge aus der Tasche. Rapunzel sitzt neben Rosenrot auf dem Fensterbrett und stopft sich eine Salami hinein.
„He, selbst essen macht dick“, sage ich.
„Und ich dachte, die Nervensäge ist im Laster“, sagt Picasso, Rapunzels Vater. Beleidigt drehe ich ihm den Rücken zu, zupfe aber gleich danach an Rapunzels Ärmel.
Sie reicht mir den armseligen Rest der Wurst. Immerhin folgt noch ein Stück Käse von Schneeweißchen. Und als auch noch Nachtigall mir etwas Brot spendiert, werde ich glücklich und satt.
„Käse und Wurst ist für Prinz ungesund“, sagt sie. Momentan hat sie einen Gesundheitsfimmel. Alle sollen möglichst Gemüse und Obst essen. Sie kauft nur noch Vollkornbrot und Vollkornnudeln. Mit dem Erfolg, dass die Kinder am Esstisch ganz wenig essen und sich anschließend beim Imbiss Pommes frites oder Döner kaufen. Manchmal holen sie auch Schokolade und Kekse aus dem Supermarkt. Trotzdem sind sie alle ganz schlank. Der einzige, der auf seine Figur achten muss, bin ich.
„Das kommt davon, dass du dich immer tragen lässt“, stichelt Picasso gern. Dabei muss ich bestimmt zwanzig Schritte machen, um bei einem Schritt von Rapunzel hinterherzukommen.
Nach dem Essen tragen die Kinder die Küchenstühle und den Esstisch hinunter. Nachtigall fegt und Picasso bringt den Müll weg. Anschließend schließen sie das Haus ab.
„Es kann losgehen!“, sagt Picasso.
Unser rot, gelb und grün angemalter VW-Bus steht vor dem kleinen Laster.
Rapunzel setzt sich hinter den Fahrersitz. Neben ihr sitzen die Zwillinge Rosenrot und Schneeweißchen. Winnetou fährt und Picasso thront auf dem Beifahrersitz. Die hinterste Bank ist umgeklappt und mit Gepäck vollgepackt. Auf den Koffern liegen Decken und Jacken, sodass man nicht nach hinten sehen kann. 
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