(...)
Nachtigall fährt den Laster,
mit Cäsar und Zorro als Beifahrer. Die müssen die Karte lesen, damit wir auch
ankommen. Picasso kann es leider nicht. Beim letzten Versuch haben wir drei
Stunden
gebraucht, um wieder an unserem Ausgangspunkt anzukommen. Solche praktischen
Dinge kann man halt nicht von einem Maler, erwarten.
Ich halte mit meinem vollen
Magen erst einmal einen Mittagsschlaf. Die Fahrt wird noch lange genug dauern.
Als ich wieder aufwache, fliegen Wolken und Bäume an uns vorbei. Der Bus
klappert gewaltig. Winnetou fährt sicher wieder einmal schneller als er soll.
Nein, das täuscht nur, denn der Laster vor uns ist genauso schnell. Der Bus ist
einfach nur alt. Hoffentlich fällt er nicht unterwegs auseinander.
Ich schließe die Augen und
versuche wieder einzuschlafen. Aber so unruhig, wie ich bin, kann ich es
natürlich nicht mehr, dabei schlafen Ratten tagsüber und sind in der Nacht
wach. Also krabble ich aus der Tasche heraus und auf die Rücklehne. Jetzt habe
ich einen richtig guten Ausblick. Ich sehe Kühe und Pferde auf den Weiden
stehen. Huh, da sitzt ein Bussard auf einem Pfosten. Wie gut, dass ich im Auto
bin und nicht auf dem Feld.
Nach einer Weile wird es mir
langweilig, ich krieche in das Gepäck und untersuche es. Vielleicht habe ich
Glück und finde etwas Schmackhaftes. Um die Musikinstrumente mache ich lieber
einen großen Bogen, da kennen die Kinder kein Pardon. Nicht einmal Rapunzel hat
Verständnis, wenn ich in der Gitarre übernachte. Dabei ist das so eine schöne
Höhle. Ich hatte sie einmal mit etwas Wolle und Heu ausgestopft, das war
herrlich gemütlich. Zur Strafe musste ich eine Woche lang im Käfig schlafen. So
eine Gemeinheit. Dabei hat sowieso niemand das Ding benutzt. Es war ein alter
Staubfänger. Nur weil Nachtigall so ein Theater gemacht hat, von wegen altem
Erbstück und kostbares Instrument. Auf dem schon Dingsda große Konzerte gegeben
hat.
Die Koffer sind alle
verschlossen. Ich könnte natürlich ein Loch hineinnagen, aber das würde auch
Ärger geben. Also lasse ich es lieber. Nachtigall traue ich es zu, dass sie
mich einfach auf einem Parkplatz aussetzt. „Ratten gibt es überall. Du wirst
schon zurechtkommen“, meint sie dann sicher nur.
Der Bus klappert nicht mehr
ganz so stark. Winnetou scheint langsamer zu fahren. Es geht in eine Kurve. Ich
bekomme so einen Druck im Magen, dass ich mich nicht mehr halten kann, sondern
durch den Kofferraum rutsche. Leider rutsche ich nicht allein, sondern die
Kisten und Koffer und Taschen rutschen ebenfalls. Und genau auf mich zu. Mir
wird elend vor Angst. Hilfe! Ich werde zerquetscht! Mit einem beherzten Sprung
rette ich mich auf den Gitarrenkasten und von dort weiter auf Rosenrots Kopf.
Mit aller Kraft kralle ich mich fest, ohne auf ihr Kreischen zu achten. Was hat
sie bloß? Sie ist doch sonst nicht so zimperlich. Das darf sie bei drei Brüdern
und zwei Schwestern auch gar nicht sein.
„Rapunzel, nimmt dein Vieh weg.
Es reißt mir alle Haare aus“, schreit sie.
Rapunzel beugt sich hinüber und
greift nach mir. Das passt mir nicht und ich fletsche meine Zähne.
„Prinz, hör auf, oder du gehst
in den Käfig.“
Blödsinn, der ist doch im
Laster.
„Für eine ganze Woche.“ Nun
gut, ich bin vernünftig und friedlich, also lasse ich mich in die Hand nehmen
und wieder in die Jackentasche packen.
Langsam beruhigt sich mein pochendes Herz und ich nage
an dem Keks, den mir Rapunzel gibt(...)
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