Der kleine Mann mit dem langen, grauen Vollbart stand am Büffet und schaute sich suchend um. Schließlich entdeckte er den Gesuchten und stapfte mit energischen Schritten zum Pool. Dort blieb er vor einem Liegestuhl stehen und wischte sich den Schweiß mit seinem langen Ärmel seines braunen Umhangs ab. Dann atmete er tief durch und räusperte sich. Doch der korpulente Mann mit der viel zu engen schwarzen Badehose schnarchte nur ein paarmal laut, drehte seinen Kopf zur anderen Seite und schlief ruhig weiter.
„Hallo, Weihnachtsmann, der Chef schickt mich", flüsterte der Kleine durchdringend. Doch der Dicke reagierte nicht.
Nervös wechselte der Kleine von einem Bein zum anderen. Dann fasste er sich ein Herz und stupste den Dicken an. Erst berührte er ihn kaum, doch beim fünften Versuch wurde er gröber.
Erschrocken fuhr der alte Herr auf. „Was zum Donnerwetter denkt ihr euch eigentlich! Ich bin eine wichtige Persönlichkeit und brauche meinen Urlaub, um mich zu erholen."
Der Kleine wich erschrocken ein paar Schritte zurück. Um ein Haar wäre er in den Pool gefallen. Im letzten Moment blieb er stehen und balancierte sich aus.
„Ich kann doch nichts dafür", jammerte er. „Der Chef hat mir befohlen, euch zurückzuholen. Es ist schon Ende November. In den Städten stehen inzwischen meine Kollegen und geben sich als Weihnachtsmänner aus. Die Produktion läuft auf Hochtouren, die Lager sind voll und die Wichtelfrauen lesen täglich die Post und packen nach den Bestellungen die Pakete zusammen."
„Ein alter Mann braucht mehr Erholung als ein junger."
„Aber wir sind doch alle schon viel zu alt. Leider gibt es in unserer Branche keinen Nachwuchs. Außerdem würde der Chef uns nie in den vorgezogenen Ruhestand schicken."
Der korpulente Mann richtete sich auf. Seine nicht bedeckten Körperteile waren knallrot.
Der Wichtel kicherte. „So braucht ihr keinen roten Umhang tragen. Sehr praktisch bei diesen Temperaturen."
„Wie war noch einmal dein Name?", fragte der Dicke und zog seine buschigen Augenbrauen hoch.
Doch der Kleine eilte schon leichtfüßig weg, am Ende des Pools drehte er sich noch einmal um. „Meinen Auftrag habe ich ausgerichtet. Übrigens, eure Rentiere haben beschlossen zu streiken. Sie wollen besseres Futter und mehr Ruhetage in der Hauptsaison."
Seufzend stand der Alte auf, zog sich seine Schlappen an und ging bis zur Leiter, dort stieg er Sprosse für Sprosse langsam ins Wasser. Nachdem er mehrere Runden gedreht hatte, ging er in seinen Pavillon und zog sich an. Mit karierter Bermudashorts und einem bunten Safarihemd, das über seinem üppigen Bauch spannte, stellte er sich am Büffet an. Erst als er das fünfte Mal nachgenommen und eine Flasche Burgunder geleert hatte, stand er auf und folgte dem Wichtel. Vor dem Ferienpark stand ein modischer Jeep. Hinter dem Steuer saß der Kleine und schlief schnarchend.
„Rutsch zur Seite", sagte der Dicke herrisch.
Der Kleine rieb sich die Augen. „Na endlich, alleine hätte ich mich nicht zurückgetraut."
„Ich werde auch in Streik treten", murmelte der Weihnachtsmann. „In meinem Alter sollte man in Altersteilzeit gehen."
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Weihnachtsmann im Weihnachtsstress
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