Sonntag, 1. Januar 2012

Die Tränendiebe

Diana schob schnell die Fertiggerichte in die Mikrowelle, dann deckte sie den Tisch und füllte die Waschmaschine. Ihr kleiner Bruder Sebastian würde bald nach Hause kommen und die Eltern verlangten von der vier Jahre älteren Diana, sich um ihn zu kümmern.
Diana hatte sich nie überlegt, wie es wäre, keinen Bruder zu haben oder keine Pflichten im Haushalt. Schließlich gehörte es dazu. Von jedem wurde höchste Effizienz erwartet. Und Diana funktionierte perfekt wie ein Roboter.
Nach dem Essen deckte Sebastian pfeifend den Tisch ab und räumte die schrankfertige Wäsche weg. Bevor er wie jeden Tag zur Körperschulung ging, erledigte er noch zuverlässig seine Hausaufgaben.
Gemeinsam verließen die beiden Geschwister die Wohnung. Sie unterhielten sich über die Vor- und Nachteile des neuen Computerprogrammes Schola 2100. Vor der Schule trennten sie sich. Sebastian ging zur Sporthalle, während Diana den Computerraum ansteuerte.
An ihr war eine besondere logische Begabung festgestellt worden und so erhielt sie zusätzlichen Programmierunterricht, um später der Gesellschaft besonders zu dienen. Dafür war ihre Körperschulung um die Hälfte gekürzt worden.
Während sie ihr Programm schrieb, überlegte sie, wie unsinnig die demnächst stattfindenden Kampfspiele waren.
Ihre Eltern hatten ihre Fragen mit dem Hinweis „Das verstehst du noch nicht“ abgeschmettert. Seitdem erwähnte Diana sie daheim nicht mehr.
Diana beschloss, sich bei ihrer Großmutter zu erkundigen, wie sie es oft tat. Ihre Großmutter war noch anders. Damals hatte die Genauswahl noch nicht hundertprozentig geklappt. Deshalb war die Generation ihrer Eltern auch in Heimen aufgewachsen. Der Staat wollte den Einfluss der emotional nicht so gefestigten Eltern kleinhalten. Inzwischen waren solche Maßnahmen nicht mehr erforderlich.


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